Leseprobe

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Detective Carolyn Matthews lehnte sich zurück und gähnte. Ihr Mantel klebte wie ein nasses Handtuch an der Stuhllehne, und er stank erbärmlich nach Spätschicht. Daran änderte auch diese eigenartige Mischung aus Bohnerwachs und Bourbon nichts, die in dem kleinen Eckcafé im Bostoner Norden zu jeder Tages- und Nachtzeit in der Luft zu hängen schien. 

Seufzend korrigierte sie ihre Haltung, während die schmalen Fingerspitzen ein windschiefes Peace-Zeichen nachfuhren, das Emily vor einer halben Ewigkeit in die Tischplatte aus Mahagoniholz geritzt hatte. 

Carolyn griff nach einem verkratzten Kaffeelöffel, der vermutlich schon zum Inventar gehört hatte, als sie fast zwanzig Jahre zuvor zum ersten Mal in das kleine Café in der Salem Street gestolpert war. Behutsam tauchte sie ihn in die Tasse mit Milchkaffee, die dampfend auf dem Tisch vor ihr stand, während ihr Blick zum Schaufenster wanderte. Von draußen peitschte der Regen gegen die riesige Glasscheibe mit dem ausgeblichenen Schriftzug „Bruno’s Cozy Corner“. 

Ein guter Ort für einen Zwischenstopp nach einem anstrengenden Arbeitstag. Dabei ließ Carolyns zierliche Statur nicht vermuten, dass sie kaum zwei Stunden zuvor noch einen mutmaßlichen Mörder durch das North End gehetzt hatte, bis sie ihn endlich zu fassen bekam. 

Allein schmeckt der Milchkaffee nicht besser als Bobs Instant-Plörre.

Sie schloss kurz die Augen und lauschte, wie Bill Martin, der Barpianist, zum letzten Stück des Abends ansetzte. 

Gedankenverloren ließ sie den Löffel so schwungvoll in die halbleere Kaffeetasse sinken, dass ein Tropfen auf dem hellblauen Hemd landete, das unter ihrem Jackett hervorblitzte. 

Verflucht, keine dreißig Minuten Feierabend und schon ruiniere ich meine Klamotten.

Hektisch zog sie eine Serviette zwischen Tasse und Unterteller hervor und begann, über den centgroßen Kaffeefleck auf ihrer rechten Brust zu reiben. 

Einen Augenblick später legte sie resigniert die Serviette auf den Tisch und beschloss, den nun walnussgroßen Fleck auf ihrem Hemd zu ignorieren.

Ihr Blick wanderte zu dem kleinen Flachbildschirm, der über einem windschiefen Zeitschriftenständer neben dem Tresen hing und unentwegt die neuesten Sensationsmeldungen irgendeines Klatschsenders präsentierte. 

Carolyn blies sich eine Haarsträhne aus der Stirn, doch der sonst so akkurat gescheitelte Pagenschnitt war nicht mehr zu retten. Gelangweilt nahm sie zur Kenntnis, dass irgendein Kennedy mal wieder unangenehm auf einer High Society-Party aufgefallen sei. 

Kurz darauf scannten ihre meerblauen Augen den Zeitschriftenständer. Der Boston Globe lag etwas verloren im untersten Fach. Darüber befanden sich eine vergilbte Ausgabe des Boston Business Journal und ein paar Frauenzeitschriften. Im obersten Fach lag mit dem National Enquirer die einzige Zeitschrift, die noch druckfrisch aussah.

Carolyn kniff die Augen zusammen und versuchte, die Headline auf dem Cover zu entziffern. 


Mac ’n Cheese sagen nach Bombendrohung Konzert am Sonntag in New Haven ab.


Mac ’n Cheese – hatte Emily als Teenager nicht zwei Dutzend Poster von denen in ihrem Zimmer hängen? Sie schüttelte sich beim Gedanken an die jugendlichen Schwärmereien ihrer besten Freundin, die sie auch zwei Jahrzehnte später noch nicht nachvollziehen konnte.

Hinter der Bar winkte Bruno. 

Er ist alt geworden, dachte Carolyn und nickte dem dicklichen Wirt freundlich zu. Sie rührte den Kaffee erneut um. 

In der Ferne heulten Sirenen. Das Brummen von Brunos Kaffeemaschine verhinderte, dass Carolyn sie orten konnte. 

Bill hatte aufgehört zu spielen. Trotzdem saß er noch immer an seinem Piano und nippte teilnahmslos an einem Gin Tonic. 

Sie zwinkerte ihm zu. „Spielst du noch eins, Bill?“

„Für meinen Lieblings-Cop mache ich eine Ausnahme!“, grinste Bill und stimmte irgendeine Sonate an. 

„Wo ist Emily denn heute?“ Seine Finger wanderten so leicht über die Tasten, dass Carolyn nicht sicher war, ob er sie überhaupt berührte. 

„Psychologenkongress.“ Sie rief es lauter als beabsichtigt. 

„Ich vergesse immer, dass sie ja gar kein Cop ist!“ Die Melodie erfüllte nun den gesamten Gastraum und übertönte die unheilvollen Geräusche der Nacht. 


(c) Connie Klein

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